Vortragsreihe der westfälischen Kirche will jüdisches Leben sichtbar machen
Seit 1700 Jahren leben Jüdinnen und Juden in Deutschland. Der erste Beleg für eine jüdische Gemeinde in Köln geht auf das Jahr 321 zurück. Zu Geschichte und Gegenwart des Judentums finden zahlreiche Veranstaltungen statt – auch in Westfalen. Bei der Auftaktveranstaltung am 24. August spricht die Präses Dr. h. c. Annette Kurschus in der Bielefelder Synagoge „Beit Tikwa“.
„In diesem Jahr erinnern wir uns an 1700 Jahre jüdisches Leben in unserem Land“, erklärte die leitende Theologin der westfälischen Landeskirche. Damit sei auch der Aufruf an Christinnen und Christen verbunden, „unsere Beziehung zum Judentum zu bedenken und die Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland und insbesondere bei uns in Westfalen aufmerksam wahrzunehmen“.
Die Reihe greift laut Pfarrer Ralf Lange-Sonntag, Beauftragter der EKvW für den christlich-jüdischen Dialog, die unterschiedlichsten Aspekte jüdischen Lebens in Westfalen bzw. Deutschland auf. Dazu zählen Musik und Sport, orthodoxes und liberales Judentum, Antisemitismus und christlich-jüdischer Dialog, rabbinisches Wirken und Genderthematik sowie Bildung und Erziehung. Vorträge und Veranstaltungen finden bis zum Februar 2022 statt.
Die Evangelische Kirche von Westfalen will anlässlich des Jubiläums mit der Vortragsreihe sowohl auf jüdisches Leben aufmerksam machen als auch gegen Antisemitismus vorgehen. Dazu lädt sie zusammen mit dem Landesverband der jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe K. d. ö. R. und dem Landesverband progressiver jüdischer Gemeinden in Nordrhein-Westfalen e. V. ein. Alle Termine sind hier zu finden.
Am 24. August hat die Reihe unter dem Titel „Singt Gott ein neues Lied“ begonnen. Dabei erläuterte Kantor Isidoro Abramowicz die Bedeutung der Musik für das Judentum. Zahlreiche Beispiele für Musik im Judentum gibt es schon in der Tora und im Talmud. Es sei daran erinnert, dass beim Auszug aus Ägypten der Durchzug durch das Rote Meer von Musik und Lied begleitet wurde.
Auch der Sport spielt und spielte im Judentum eine Rolle. Von „Bar Kochba“ bis zu MAKKABI Deutschland berichtet der Fußballtrainer und Präsident des Dachverbandes MAKKABI Deutschland, Alon Meyer, am 4. Oktober in Recklinghausen.
Einen Überblick zum Jüdischen Leben in Westfalen und Deutschland gibt der promovierte Historiker Uri Robert Kaufmann am 6. Oktober in Hagen. Er wird davon berichten, wie im Rheinland das „aschkenasische“ Judentum entstanden ist, das heute die Mehrheit aller Juden ausmacht. Und vom Rheinland kamen jüdische Familien nach Westfalen. Kaufmann leitet die Alte Synagoge Essen – Haus jüdischer Kultur.
Das Orthodoxe Judentum stellt Rabbiner Avichai Apel (Frankfurt/Main) am 3. November bei seinem Vortrag in Gelsenkirchen vor. Denn nach der fast vollständigen Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland während der NS-Zeit hat sich das orthodoxe jüdische Leben in Deutschland mittlerweile wieder in vielfältiger Form entwickelt.
„Jude sein in Westfalen“: davon berichtet Alexander Sperling, der Geschäftsführer des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe, am 25. November in Minden. Er wird die Neugründung Jüdischer Gemeinden in Deutschland nach der Schoah nachzeichnen. Wenige NS-Überlebende, die in ihre westfälischen Heimatstädte zurückgekehrt waren, organisierten sich bereits ab Sommer 1945 an verschiedenen Orten wieder in kleinen Gemeinden. Mit ihrer Kraft und mit Mut sorgten sie für den Aufbau neuen jüdischen Lebens.
Auf den christlich-jüdischen Dialog blickt der Rabbiner Dr. Jehoschua Ahrens am 7. Dezember im Münster. Der ehrenamtliche Direktor für Zentraleuropa des Center for Jewish– Christian Understanding and Cooperation wird die neuesten Entwicklungen und Herausforderungen für den Dialog aufzeigen und klären, wie sich der jüdisch-christliche Dialog zum Trialog der Abrahamsreligionen verhält.
Im neuen Jahr wird die Reihe fortgesetzt unter dem Thema „Rabbinisches Wirken in Deutschland … und sein Einfluss
auf das heutige Judentum“. Dazu wird der aus der Ukraine stammende Rabbiner Avraham Yitzchak Radbil (heute Konstanz) am 12. Januar 2022 in Dortmund erwartet. Es folgen weitere Veranstaltungen am 19. Januar 2022 in Unna mit der Rabbinerin Natalia Verzhbovska unter dem Titel „Progressiv, liberal, reformorientiert – Liberales Judentum in Deutschland“ und am 31. Januar in Herford mit dem Berliner Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama zum Thema „Ein Jahrhundert Antisemitismus in Deutschland“.
Abschließend gibt es im Februar einen Vortrag zu Erziehung und Bildung im Judentum am 8. Februar 2022 in Bochum. Dort wird die Religionslehrerin Rosa Rappoport sprechen, die seit mehr als zehn Jahren auch als Koordinatorin des Jüdischen Religionsunterrichts für den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe tätig ist.
Mit jüdischen Perspektiven zur Genderthematik unter dem Titel „… und schuf sie als Mann und Frau“ endet die Reihe am 16. Februar 2022. Der genaue Veranstaltungsort mit Rabbinerin Prof. Dr. Elisa Klapheck (Frankfurt/M, Paderborn), die sich selbst als jüdische Feministin bezeichnet, wird noch bekanntgegeben.
In Deutschland zählen die offiziellen jüdischen Gemeinden heute mehr als 100.000 Mitglieder. Jüdische Einrichtungen werden seit vielen Jahren von der Polizei bewacht. In jüngster Zeit gibt es wieder vermehrt antisemitische Übergriffe und Vorfälle.
Anlässlich des Festjahres wurde der Verein „2021 – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ gegründet, den auch die westfälische Landeskirche als Mitglied unterstützt. Er will „die Bedeutung der jüdischen Kultur und Geschichte für Deutschland und Europa wachhalten“ und so Zeichen gegen den wiedererstarkenden Antisemitismus setzen.
Das Programmheft zur Vortragsreihe gibt es hier zum Download.
Internet: https:2021jlid.de