Info-Abend zu Impfgerechtigkeit mit Stimmen aus dem Globalen Süden
„Patente garantieren Gewinne. Und töten Menschen“. Diese Formulierung war ein Stein des Anstoßes beim Corona-Infoabend „Patentrechte weltweit – Impf-Patente aussetzen“. Zu einer Online-Diskussion über globale Impfgerechtigkeit hatten der Rheinische Dienst für Internationale Ökumene (RIO) und das Amt für MÖWe der westfälischen Kirche eingeladen. Ein Teilnehmer warnte im Chat: „Das ist sehr verkürzt formuliert und ruft Widerstände an den falschen Stellen hervor“, eine andere Teilnehmerin konterte: „Es ist plakativ, aber die Wahrheit.“
Das provozierende Zitat stammt von der Organisation medico international, genauer gesagt von ihrer Unterschriftenaktion für die Aufhebung des Patentschutzes auf unentbehrliche Medikamente. Die Unterschrifteninitiative gehörte beim Corona-Infoabend zu den möglichen Empfehlungen für konkretes Handeln. Mit 87 Anmeldungen war das ist eine Zoom-Konferenz mit starker Resonanz. Patentrechte für Corona-Impfstoffe auszusetzen, das forderten an diesem Abend mehrere Beteiligte.
Vera Dwors und Beate Heßler vom Amt für MÖWe wiesen darauf hin, dass einige westfälische Kirchenkreise Beschlussvorlagen für Kreissynoden für eine gerechtere Verteilung von Impfstoffen erarbeiteten – auch hier lautet der Tenor: „Patentschutz aussetzen – Impfgerechtigkeit anstreben“. RIO-Pfarrer Müller empfahl: Kirchenakteur*innen sollten das Thema in die Synoden, ihre Kirchenparlamente, tragen und sich bei lokalen Mandatsträgern der Politik für gerechtere Regelungen einsetzen.
Wiederum im Chat gab jemand zu Bedenken: „Nur ein kleiner Prozentsatz aller Forschungen kommt in die Produktion. Wenn wir den Pharmakonzernen die Patente wegnehmen, forschen sie nicht mehr.“ Andere Befunde sprechen dagegen für eine Aussetzung der Patentrechte: Die wirtschaftlich wohlhabenden Länder, der globale Norden, hat sich einen Großteil der Impfstoffe gesichert, obwohl Covid alle Länder betrifft, auch die im Süden. Die „ungleiche Verteilung“ beklagte RIO-Pfarrerin Ursula Thomé .
Ihr Kollege, RIO-Pfarrer Helmut Müller, kritisierte, dass die „reichen Industrienationen eine global gerechte Versorgung mit Impfstoffen verhindern“. Müller erläuterte in seiner thematischen Einführung auch, warum die Initiative Covax, ein Fonds, nicht ausreicht. Welche Optionen bleiben? Aufs eigene Impfen verzichten? Kommt gar nicht in Frage, betonte er.
Technologietransfer dringend nötig
Impfstoffspenden von Ländern wie Schweden sind auch keine konstruktive Lösung: “Wir dürfen nicht nur Brosamen vom Tisch fallen lassen“, mahnte Dr. Gisela Schneider, Direktorin des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission e. V. (Difäm). Vielmehr gelte es „gemeinsam effektiv und solidarisch zu handeln“. Die Ärztin warb für das Aussetzen der Patente und verwies auf zwei Grundlagen, die diesen Weg eröffnen: Die UN-Nachhaltigkeitsziele sehen eine solche Option vor. Deutschland hat sie unterschrieben.
Außerdem nannte Schneider die Freigabe von Patenten vor zwanzig Jahren im Zusammenhang mit HIV und Aids als gutes Beispiel. Dort hatten Staaten sich darauf geeinigt, vorübergehend das Trips-Abkommen der Welthandelsorganisation auszusetzen, das das geistige Eigentum der Hersteller schützt. „Kein Pharmakonzern ist dadurch untergegangen.“
Bei HIV gebe es ein relativ neues Medikament, das in Südafrika generisch hergestellt und gegeben werde, im globalen Norden dagegen genieße es weiterhin Patentschutz und koste einen höheren Preis. Schneider: „Wir können, wenn wir wollen.“ Es gelte, „eine globale Pandemie global zu lösen“. Und gerade auch wegen drohender Virus-Varianten sei es so wichtig, die Menschen schnell zu impfen.
Die Difäm-Direktorin forderte einen globalen Technologietransfer. Wichtig sei es, Impfstoff lokal zu produzieren, auch um befürchteten lokalen Mutanten von Covid-19 zu begegnen.
Communities brauchen „Impf-Mutmacher“
Menschen weltweit für das Impfen gewinnen und Ängste davor ausräumen – dies sprachen mehrere Beteiligte an. Gegen vielerorts bestehendes Misstrauen „brauchen wir Impf-Mutmacher in den Communities“, meinte Difäm-Direktorin Schneider. Beispielsweise müsse darüber aufgeklärt werden, dass die Impfstoffe nicht die Gene verändern, so ein häufiger Vorbehalt.
Für Dr. Jean-Bosco Kambale Kahongya von der Vereinten Evangelische Mission (VEM) in Tansania gehören die Dinge zusammen: „Impfstoff in Afrika zu produzieren, könnte eine gute Lösung sein.“ Die Herstellung auf dem eigenen Kontinent fördere auch das Vertrauen, so seine Einschätzung.
Elizabeth von Francois, Pfarrerin und Leiterin des Andreas-Kukuri-Zentrums der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Republik Namibia (ELCRN), schilderte die Lage in ihrem Land, das sich weiterhin in einer „Gefahrenzone“ befinde.
„Mangel an Solidarität“
Auf eine Lockerung der Regelungen über geistiges Eigentum würde gern auch der Allgemeinmediziner Dr. Elmer Villeda setzen, er leitet das Kindernothilfe-Büro in Honduras. Sein Land mit rund neun Millionen Einwohner*innen hatte kurz zuvor gerade noch ein einziges freies Intensivbett; 2.500 Menschen waren geimpft.
Dagegen gebe es einen Impftourismus in einzelne US-Bundesstaaten; eine Lösung nur für wenige Menschen in Honduras, die sich den Flug leisten können. Zu den größten Hindernissen, mit denen sein Land zu kämpfen hat, zählt Villeda neben dem hausgemachten Problem einer schlechten Regierungsführung den „Mangel an Solidarität des globalen Nordens“.
Weitere Materialien (PDF-Dateien) zum Thema:
- Impfgerechtigkeit weltweit
- Impfgerechtigkeit DIFÄM
- Aufruf zur Aufhebung des Patentschutzes
- Südsahara Afrika Region und Corona-Impfgerechtigkeit
- Impfgerechtigkeit in Namibia