Prozess „Kirche in Vielfalt – Interkulturelle Entwicklung“ in Westfalen gestartet
Fröhlich singend und Hände klatschend ziehen Menschen durch die Kirche: sie sind unterschiedlicher Sprache und Herkunft, kommen aus dem Iran, von den Philippinen, aus Ghana, Tansania und Deutschland. Aber sie alle sind Christinnen und Christen. Rund zehn Millionen Menschen mit christlichen Wurzeln sind nach Deutschland gekommen. In westfälischen Gemeinden gibt es eine große Vielfalt kultureller Prägungen und religiöser Erfahrungen. Diese ist nicht immer bewusst und sichtbar.
Die Evangelische Kirche von Westfalen will mit einem eigenen Prozess die kulturelle Vielfalt in ihren Gemeinden und Einrichtungen sichtbar machen und fördern. Unter dem Motto „Kirche in Vielfalt – Interkulturelle Entwicklung“ fand dazu am 7. Mai die Auftaktveranstaltung in der Martin-Luther-Kirche in Gütersloh mit knapp 70 Teilnehmenden statt. Die westfälische Kirche wolle und werde den eingeschlagenen Weg der interkulturellen Entwicklung und der damit verbundenen Herausforderungen auf allen Ebenen offen gestalten, sagte Ökumene-Dezernent Dr. Albrecht Philipps.
Gleich zu Beginn stellte der Theologe und Künstler Johannes Weth von der Stiftung Himmelsfels in seinem Impulsvortrag klar: „Die Kirche macht keinen Sinn, wenn sie ein Club der Gleichen ist und nicht auch die Vielfalt dieser Welt in ihr vor Gott tritt.“ Das Wunder der Kirche und der Ökumene liege darin, dass aus aller Verschiedenheit „ein Neues“ wird. Es gehe nicht darum, „eins“ zu werden, betont Weth. Die interkulturelle Entwicklung sei vielmehr der große Aufbruch zum anderen Menschen. Dabei müsse allen Beteiligten klar sein, dass die interkulturelle Kirche nicht als Organisation funktioniere, „aber sicher als Wunder“.
Ein solcher Prozess bringt auch Enttäuschungen mit und sei schmerzhaft, wie der Geschäftsführer der ökumenischen Gemeinschaft Himmelsfels bei Kassel erklärt. Zugleich würde diese Entwicklung von „hartnäckigen“ Missverständnissen befreien wie etwa die Einheit der Kirche als „unser“ Projekt oder, dass die Kirche eine bestimmte Kultur oder Ethnie sei. Weth beklagte ein zu oft einseitiges Integrationsverständnis. Sein Vortrag lautete: „Warum interkulturelle Entwicklung für die Evangelische Kirche wichtig und hilfreich ist …“
Gemeinsam Kirche sein mit Internationalen Gemeinden bedeute mehr als sich nur ein Kirchen-gebäude zu teilen oder ein Gebäude zu vermieten, sondern dies verlange, sich gemeinsam auf den Weg zu machen. „Wir werden nicht immer zu einer gemeinsamen Kirchengemeinde mit einer Form, Gemeindekultur, Sprache finden, aber als Verschiedene lernen wir, die Mission des Anderen selbst zu empfangen und als vielfältige Kirche einer vielfältigen Welt das Evangelium zu bezeugen.“
Auch an anderen Stellen legte Weth den Finger in die Wunde mit Blick auf kirchliche Defizite und Fehlverhalten: Die Kirche im Westen habe lange Zeit gedacht, sie zähle zu den „Guten“, die sich für die Opfer der Geschichte einsetzten. „Heute erkennen wir, dass wir selbst vom Gift der Macht, des Rassismus und des Elitarismus befallen sind.“ Er mahnte eine Art schonungslosen „Selbstboykott“ der Privilegierten an und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema. Anti-Rassismus-Arbeit sei ein herausfordernder Prozess.
In der Gesellschaft würden Menschen oft nach ihrem Äußeren beurteilt, konstatierte Mehrdad Sepehri Fard, persisch-sprachiger Seelsorger in den Kirchenkreisen Paderborn, Soest-Arnsberg und Tecklenburg. Aber Gott sehe das Herz an. So sollten in christlichen Gemeinden das gemeinsame Fragen nach Gott im Vordergrund stehen und die Gaben und Fähigkeiten der einzelnen – egal, woher sie kommen. Die Herkunft sei sekundär. Der gemeinsame Auftrag sei es, Gott zu loben.
Um Vielfalt zu zeigen, braucht es neue Formen und Formate
Migrantinnen und Migranten brächten verschiedene Erfahrungen und Kompetenzen mit, „aber sie haben nicht ohne weiteres die Möglichkeit, sich in der Gemeinde oder in der Gesellschaft zu engagieren“, berichtete Elsie Joy de la Cruz, die von den Philippinen stammt und als westfälische Pfarrerin in Bad Oeynhausen arbeitet. Sie wirbt für eine offene Kirche, in der sich Christinnen und Christen aus verschiedenen Kulturen und mit anderen Frömmigkeitstraditionen begegnen. „Wir müssen sie persönlich einladen, sie unterstützen und beteiligen, um zu interkulturell geprägten Gemeinden zu wachsen“, sagt die Theologin auch vor dem Hintergrund, dass die Kirche immer mehr ihrer bisherigen Mitglieder verliert. Viele Flüchtlinge, die in ihren Heimatländern als Christen verfolgt wurden, verstehen die Gemeinden, die sie aufnehmen, als ihre neue Familie. Gottesdienste allein reichten jedoch nicht aus, unterstrich sie. Es gehe um eine lebendige Gemeinschaft, die füreinander da sei und einstehe, etwa vor Gericht oder bei der Job-Suche oder nach einem Ausbildungsplatz. Die christliche Kultur sei eine Sprache der Liebe und des gegenseitigen Respekts.
Für passende Formen und Strukturen, damit christliche Migrantinnen und Migranten hierzulande ihren Glauben praktizieren könnten, sprach sich auch John Uzuh, Pastor in einer Migrationskirche in Münster, aus. Er bedauerte, es gebe bisher in der Kirche zu wenig Raum für Ausländer. Formen und Inhalte seien zudem oftmals „schlicht deutschlastig“. Es würden neue Formen gebraucht, die Abgrenzung und Differenzierung überwinden und in der die Vielfalt der Gesellschaft zum Tragen komme.
Der aus Nigeria stammende Uzuh begrüßte den Prozess der westfälischen Landeskirche und den Willen nach Veränderungen, der nicht an einem Ort oder in Strukturen erstarren dürfe. „Gott liebt Vielfalt. Er hat bereits Vielfalt in die Schöpfung gelegt. Deshalb drücken die Menschen ihren Glauben unterschiedlich aus. Vielfalt ist für Gott keine Bedrohung“, betonte er.
Im direkten Austausch der Teilnehmenden untereinander wurden Anregungen etwa zu Seelsorge, Rassismus oder zum Leitbild, aber auch Problemanzeigen bei der Weiterarbeit festgehalten. Ein zentrales Anliegen dabei war und ist es, Kirche mit anderen und nicht Kirche für andere zu sein.
Die Iranerin Saidi Maryam berichtete, wie wichtig und wertvoll es sei, fremde Menschen oder nicht regelmäßige Besucher*innen in einem Gottesdienst direkt anzusprechen. Oft vermisse sie eine persönliche Begrüßung oder ein freundliches Lächeln als Geste des Willkommenseins. „Ein Lächeln kostet nichts“, sagte sie.
Der gebürtige Ghanaer Jakob Okine arbeitet offiziell als Prädikant in einer Gütersloher Gemeinde. Er erhofft vom begonnenen Prozess in der westfälischen Kirche spürbare Veränderungen. Es gebe eine große Bereitschaft, miteinander zu arbeiten. Die Auftaktveranstaltung habe Menschen und Herzen bewegt. „Es wird etwas geschehen“, zeigt er sich überzeugt. Und dann wird er selbst auch als Pastor anerkannt werden und nicht „nur“ Prädikant sein.
Vielfalt könne auch bedeuten, Abschied zu nehmen von Perfektionismus, sagte die Leiterin des Amtes für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung/MÖWe, Annette Muhr-Nelson, in ihrer Predigt über das babylonische Sprachenwirrwarr im Gottesdienst zum Abschluss der Auftaktveranstaltung. Das Leben sei schillernd, vieldeutig, bisweilen kompliziert, da dürften verschiedene Interpretationen, unterschiedliche Sichtweisen, auch konträre Standpunkte sein. Mit Gewalt könne man Einstimmigkeit erreichen. Doch gerade die Vielfalt sei eine Stärke der Demokratie, der Kirche und der Religionen. Dieses Potenzial gelte es zu entdecken. „Neues entsteht, wo noch nicht alles eindeutig festgelegt ist, wo es summt und brummt.“ Dirk Johnen/Amt für MÖWe
Kontakt:
Pfarrerin Beate Heßler, beate.hessler@moewe-westfalen.de
Daniel Scheuermann, daniel.scheuermann@uni-muenster.de
Save the date:
12. November 2022, Witten
Workshop zur Entwicklung eines Leitbildes für den Prozess
Materialien zum Download:
- Impulsvortrag (Johannes Weth)
- Erfahrungsberichte von Elsie Joy de la Cruz und John Uzuh
- Predigt im Abschlussgottesdienst (Annette Muhr-Nelson)
Bildinfo: John Uzuh, Elsie Joy de la Cruz, Mehrdad Sepehri Fard und Johannes Weth (v.l.) gaben Impulsbeiträge für den Prozess der interkulturellen Entwicklung innrerhalb der westfälischen Kirche.