Jahrestagung Entwicklungspolitik diskutiert über mehr Gerechtigkeit
Mehr als einhundert Eine-Welt-Engagierte sind zu Jahresbeginn zur Jahrestagung Entwicklungspolitik zusammengekommen. Menschen vom Niederrhein, aus dem Ruhrgebiet, aus dem Münsterland oder aus dem Sauerland waren dazu nach Schwerte-Villigst angereist, um sich in ihrem Engagement etwa im Fairen Handel oder in internationalen Partnerschaften auszutauschen. Unter dem Tagungstitel „Bitte wenden! Wie kann Gerechtigkeit gelingen?“ wurden „Wege zu einer sozial-ökologischen Transformation“ diskutiert.
Zu Beginn der Tagung beschrieb Bettina Köhler von der Universität Wien in einem Überblicksvortrag die „imperiale Lebensweise“, wie sie es nannte. „Unsere Produktions- und Lebensweise basiert auf einer alltäglich unbegrenzten Verfügung über alle Ressourcen.“ Dies funktioniere nur aufgrund der „Externalisierung“, dem Zugriff auf ein „Andernorts“: T-Shirts aus Bangladesch, Soja-Viehfutter aus Brasilien, Handy-Teile aus dem Kongo. Mit dieser „Externalisierung“ gehe die „Unsichtbarmachung der Produktionsbedingungen“ einher.
Bei den Zuhörern und Zuhörerinnen war der Frust angesichts der Übermacht der Konsum- und Wachstum-Ideologie spürbar. Dagegen gab es auch Stimmen wie die von Theo Heeck vom Brasilienkreis St. Heinrich in Marl: „Hier sitzen 100 Leute, die anders leben – und daran halte ich mich fest.“
In einem der acht Workshops ging es um die sogenannten Shrinking Spaces, also um enger werdende Aktionsfelder für zivilgesellschaftliches Engagement. Elmar Noé, Referent bei Misereor, wusste zu berichten, dass in vielen Ländern ein Klima der Angst erzeugt werde – und zwar durch ein breites Repertoire von Verdächtigungen, Einschüchterungen, Einschränkungen, Bedrohungen, Krimimalisierungen, willkürlichen Anklagen, Verfolgungen bis hin zu Ermordungen. Es komme daher darauf an, den zivilgesellschaftlichen Handlungsraum zurückzugewinnen oder aber ihn zu erweitern. „Öffentlichkeit herstellen, Aufmerksamkeit erzeugen“, das ist eigentlich fast immer richtig, so der Experte.
Im Mittelpunkt der Jahrestagung stand der Faire Handel – ein zentrales Handlungsfeld vieler Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Vor 50 Jahren von den konfessionellen Jungendverbänden initiiert, strebte diese „Aktion Dritte Welt Handel“ von Beginn an eine Verbindung von entwicklungsbezogenem Handel und entwicklungsbezogener Bildung an. Was tatsächlich erreicht werden konnte, das diskutierten das „Urgestein“ des Fairen Handels, Gerd Nickoleit sowie Misereor-Referent Wilfried Wunden und Friedel Hütz-Adams, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Institut Südwind, untereinander und mit dem Publikum.
Ein unübersehbarer Erfolg des kontinuierlichen Engagements sei auf jeden Fall die Handelsausweitung, wenngleich sie im Wesentlichen durch den kommerziellen Markt erfolgt ist. Es bleibe fraglich, inwieweit der kommerzielle vom ethischen Markt profitiere. Kritisch angemerkt wurde daher, dass der Faire Handel den üblichen Gesetzen der Marktlogik folge: „Wenn wir wirklich etwas ändern wollen, müssen wir dieses System grundsätzlich in Frage stellen.“ Wilfried Wunden wies auf das Paradoxon hin, dass zwar laut Umfragen viele Menschen bereit seien, für fairere Produkte einen höheren Preis zu zahlen. Allerdings seien es wenige, „die es tatsächlich tun.“
Friedel Hütz-Adams ordnete ein: „Der Faire Handel allein kann nicht wuppen, was grundsätzlich zu tun ist.“ Und Gerd Nickoleit ließ seine radikale Kritik münden in die versöhnliche Aufforderung: „Lasst uns weiter um den richtigen Weg im Fairen Handel streiten.“
Die nächste Jahrestagung Entwicklungspolitik wird vom 8.-10. Januar 2021 in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster stattfinden.
Autor: Ulrich Jost-Blome