Corona-Virus: Keine Massendemo für Menschenrechte – Freiwillige kehren zurück
Nichts ist wie sonst an diesem 24. März 2020 in Buenos Aires: Normalerweise sind Zigtausende auf der Straße, um zu demonstrieren und zu feiern. Seit 2002 gedenken die Menschen in Argentinien an diesem Tag der rund 30.000 Opfer der Militärdiktatur (1976-1983). Einzeln oder als Familien, gemeinsam mit Organisationen, Gewerkschaften, Universitäten setzen sie sich dabei auch für Menschenrechte heute ein.
Erstmals wurde der „Nationale Gedenktag für Wahrheit und Gerechtigkeit“ nun allerdings ganz anders begangen. Grund dafür ist das Corona-Virus. Die weißen (Kopf)Tücher, mit denen die Mütter an das Verschwinden ihrer Kinder erinnern, hängen nur aus Fenstern – und sie sind im Internet zu sehen.
Am 22. März, dem ersten Sonntag nach Verhängung einer landesweiten Ausgangssperre, hatte der Kirchenpräsident Leonardo Schindler der Evangelischen Kirche am La Plata (IERP) zu Glauben, Solidarität und zum Bauen an einer neuen Gesellschaft aufgerufen. Mit einer sehr seelsorglichen und zugleich motivierenden Predigt, die im Internet übertragen wurde. Denn vor allem die vier Millionen Menschen in den aufs engste besiedelten Armutsvierteln und illegalen Siedlungen der Armutsmigranten sind von den Corona-Auswirkungen betroffen. Für viele ist das tägliche Brot hier alles andere als selbstverständlich. Ohne (feste) Arbeit, ohne Wasserversorgung, ohne Versicherungen war das Leben auch vor dem Auftreten des Virus schwer zu ertragen. Seit Jahren schon belastet die hohe Inflation – zuletzt über 50 Prozent – die Argentinier. Und nun noch Corona!
Gut 60 junge Deutsche leisten einen einjährigen sozialen Dienst in der Evangelischen Kirche am La Plata, darunter auch junge Menschen aus der westfälischen Kirche. Ihre Rückkehr wurde seitens der Bundesregierung angeordnet. Noch sind die sieben von der westfälischen Landeskirche entsandten Freiwillige alle an ihren Einsatzstellen. Einige stehen unter Quarantäne, weil es vor kurzem einen Besuch aus Deutschland gab.
Ein Freiwilliger, der gerade Urlaub in Chile machte, konnte wegen der geschlossenen Grenzen nicht nach Argentinien zurück. Er wird hoffentlich bald von Santiago de Chile aus nach Deutschland zurückfliegen können.
Alle anderen müssen noch unbestimmte Zeit warten, bis sie ein Rückflugticket haben und ihre zum Teil über tausend Kilometer weite Anreise zum Flughafen gesichert ist. Der öffentliche Fernverkehr in Argentinen steht still. Die Landesgrenzen aller La Plata-Staaten und der Nachbarländer sind geschlossen. Die für das Freiwilligenprogramm zuständigen kirchlichen Stellen in Deutschland und Südamerika halten engen Kontakt untereinander und zu den staatlichen Stellen. Sie arbeiten mit Hochdruck an einer sicheren Rückkehr.
Die fünf Freiwilligen aus der IERP, die erst seit Mitte Februar in Westfalen sind, konnten vor wenigen Tagen entscheiden, ob sie heimkehren oder hier bleiben wollen. Alle wollen Bleiben, obwohl sie noch nicht richtig angekommen sind und kaum Sprachkenntnisse haben. „Wir sind gekommen, um sinnvolle diakonische Arbeit zu machen“, sagt Julián in Gelsenkirchen, „daran ändert sich für uns auch jetzt nichts“.
Dabei konnten sie sich noch vor einer Woche wohl kaum diese rasante Entwicklung vorstellen. Alle sind guter Dinge, auch wenn sie momentan nicht wie geplant im Kinder- und Jugendbereich arbeiten können. Yohane im ostwestfälischen Versmold betont: „Ich fühle mich an meinem Einsatzort und in meiner netten Gastfamilien gut aufgehoben und bin gut informiert.“
Die Evangelische Kirche am La Plata (spanisch: Iglesia Evangélica del Rio de la Plata = IERP) ist eine Partnerkirche der Evangelischen Kirche von Westfalen. Beide sind durch vielfältige Beziehungen verbunden, u.a. durch den Dienst von Freiwilligen. Die kleine spanisch sprechende, unierte Kirche geht auf deutschsprachige Auswanderer zurück. Gegenwärtig gehören zu ihr 42 Gemeinden mit rund 48.000 Mitgliedern und mehr als 250 Predigtstätten in den drei Ländern Argentinien, Paraguay und Uruguay. Mehr Informationen unter: www.ierp.org.ar
Text: Kirstin Potz ist Regionalpfarrerin des Amtes für MÖWe und zuständig für die Einsatzsstellen in Argentinien